Cover
Titel
Umweltgeschichte.


Autor(en)
Kupper, Patrick
Reihe
Einführungen in die Geschichtswissenschaft. Neuere und Neueste Geschichte (003)
Erschienen
Göttingen 2021: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
237 S.
Preis
€ 22,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von
Nils Freytag, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Eine 1964 entstandene Aufnahme des Fotografen Hans Lachmann „Bei Pforzheim. Autobahn, Ausfahrt zur Raststätte und Tankstelle“ ziert das Cover dieses Buches. Zumindest in die eine Fahrtrichtung fließt der Verkehr auf der dort dreispurigen A 21 (heute A 8) allenfalls zäh: Viele PKW, beladene LKW und ein Militärfahrzeug bestimmen die Szenerie. Die in der umweltgeschichtlichen Einführung des Innsbrucker Umwelthistorikers Patrick Kupper nicht weiter aufgegriffene Abbildung soll wahrscheinlich die Ära von Wirtschaftsaufschwung, aufkommender Massenmobilität und beschleunigtem Ressourcenverbrauch nach dem Zweiten Weltkrieg visualisieren. Zugleich versinnbildlicht die Momentaufnahme aber auch Kuppers Sehepunkt und eine die Darstellung leitende Grundentscheidung. Denn er verfolgt die historischen Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen und ökologischen Prozessen – oder wie er es gut begründet nennt: den „Wandel der sozionaturalen Verhältnisse“ (S. 15 u.ö.) – in den zurückliegenden zweieinhalb Jahrhunderten. Verbunden ist diese Entscheidung mit der lobenswerten Absicht, Basisprozesse und grundlegende Themen der jüngeren europäischen Geschichte umwelthistorisch zu unterfüttern, gleichsam allgemeine Geschichte und Umweltgeschichte Europas miteinander zu verweben. Mittel- und Nordwesteuropa erhalten dabei in dieser Einführung mehr Raum als Süd- und Osteuropa, was in Kuppers Schwerpunkten ebenso gründet wie im Forschungsstand selbst.

Der Verfasser organisiert sein Studienbuch neben Einführung und Schluss den Reihenvorgaben gemäß in zwei größeren Abschnitten: Zentrale Begriffe und Konzepte (S. 15–53) sowie Themenfelder und Untersuchungsgegenstände (S. 55–185). In den drei Kapiteln des ersten Abschnitts geht es zunächst um die begrifflichen und methodischen Fundamente der Umweltgeschichte. Die Zentralkategorien Natur und Kultur sowie Umwelt und Gesellschaft werden hier definiert, systematisch in ihren Wechselwirkungen ausgeleuchtet und aufeinander bezogen. Zu Recht unterstreicht Kupper dabei die Eigendynamik und den Wandel von Natur und Umwelt, auch ohne menschliches Zutun. Es schließen sich Ausführungen zu umweltgeschichtlichen Periodisierungsfragen und Epochen an – vom hölzernen über das fossile Zeitalter bis hin zum Anthropozän und zur Ära der Ökologie. Eine der Stärken dieser Einführung zeigt sich hier ebenso wie im letzten Kapitel des ersten Blocks, in denen die räumlichen Aspekte thematisiert und Begriffe wie Raum, Ort, Landschaft oder auch Nation in den Blick genommen werden: konsequent und zugleich problemorientiert die Brücke zu allgemeinen Fragen der Geschichtswissenschaft zu schlagen.

Die konzeptionellen und methodischen Fäden greift der Verfasser dann im zweiten größeren Abschnitt auf und verbindet sie mit neun Themenfeldern der europäischen Geschichte, die er weitgehend chronologisch anordnet und in etwa gleichgewichtig abhandelt. Kurze Zusammenfassungen am Ende der Kapitel erleichtern den Zugang und bündeln jeweils die wesentlichen Aspekte. Den Auftakt bilden die Meliorationen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts am Beispiel der Trockenlegung des Oderbruchs, den Abschluss Ausführungen zum Umweltschutz und Umbruch der 1970er- und 1980er-Jahre, die ökologische Anliegen in den europäischen Gesellschaften aller Widrigkeiten und Rückschläge zum Trotz zunehmend verankerten. Vor allem für das 19. Jahrhundert gelingt es Kupper, umweltgeschichtliche Gesichtspunkte und Basisprozesse der Epoche aufeinander zu beziehen: Neben Industrialisierung gilt dies für Urbanisierung, aber auch für Kolonialismus und Imperialismus. Durchgängig flicht er dabei ökologisches Grundwissen ein, tritt verbreiteten falschen Vorstellungen entgegen und macht auf Fallstricke sowie gewinnbringende Aspekte umweltgeschichtlichen Arbeitens aufmerksam. Vier Beispiele unter vielen: zum vermeintlichen natürlichen Gleichgewicht (S. 56), zum Klimadeterminismus (S. 73f.), zur Nachtfalterpopulation (S. 87) oder zu wilder Natur (S. 137 u.ö.). Dies macht die Lektüre nicht nur für umweltgeschichtliche Einsteiger:innen lohnend. Das setzt sich bei den Themenfeldern für das 20. Jahrhundert fort − Naturschutz, Politische Regime, Beschleunigung und Umweltschutz heißen hier die Kapitel, zu denen Kupper teils selbst geforscht und publiziert hat. Die Folgen ideologischer Einfärbungen des Naturschutzes im 20. Jahrhundert werden ebenso ausgeleuchtet wie viele unbeabsichtigte ökologische Konsequenzen menschlichen Handelns. Forschungspositionen und -streit der Teildisziplin werden dabei offen angesprochen. Auf der Tagesordnung steht nicht nur die Debatte um Christian Pfisters These vom „1950er Syndrom“, sondern auch die kontroverse Suche nach den Wurzeln der sogenannten ökologischen Revolution in den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren. Die „Große Beschleunigung“ seit den 1950er-Jahren, eine bis dahin ungekannte Phase atemlosen Aufbruchs, globalen Wachstums und Ressourcenverbrauchs, wird in ihren Pfadabhängigkeiten und widersprüchlichen Folgen eindringlich diskutiert. Sie stieß den Aufbruch der Umweltbewegungen mit an, die anfangs noch vergleichsweise einfache Antworten auf die Ökofragen suchten und fanden. Dass diese Entwicklungen keine europäischen Besonderheiten sind, sondern vielmehr globale Züge trugen, darauf macht Kupper zurecht mehrfach aufmerksam. Hin und wieder wünschte man, er hätte (noch) mehr Mut gehabt und sich auch für das 20. Jahrhundert stärker an der allgemeinen Geschichte und den großen Bögen der Zeitgeschichte ausgerichtet. Zu denken wäre etwa an Themenfelder wie Ökonomisierung oder insbesondere Medialisierung, denn gerade die visuelle Geschichte von Natur und Umwelt birgt enormes Potential, da gesellschaftliche Wahrnehmungen von Umweltproblemen nicht erst im Zeitalter der elektronischen Massenmedien vor allem über die Verbreitung von Bildern funktionieren.

In seinem kurzen Fazit (S. 187–190) konzentriert sich Kupper auf die zentralen umweltgeschichtlichen Merkmale des modernen Europas, die er insbesondere im gesellschaftlichen Agieren mit tiefgreifenden und nicht nachhaltigen Folgen zuvor ungekannten Ausmaßes ausmacht. Seit dem 19. Jahrhundert habe dies aufgrund der europäischen Vormachtstellung und Ausstrahlung globale Konsequenzen nach sich gezogen: Der Klimawandel und der dramatische Verlust an Artenvielfalt sind aus ökologischer Perspektive die prominentesten.

Auch wenn dem schlanken Büchlein ein modernes, für universitäre Lehr- und Studienbücher mittlerweile übliches Layout fehlt – keine Marginalien oder hervorgehobene Erklärungen und (bis auf ein Schema) auch keine Abbildungen –, ist Patrick Kuppers Einführung in die Umweltgeschichte für Studienanfänger:innen insgesamt lesens- und empfehlenswert, nicht zuletzt weil es abwägend und differenziert argumentiert, kenntnisreich und auch anschaulich geschrieben ist.

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Veröffentlicht am
13.04.2022
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